Steckdosen gibt es nicht

Bild: Bau eines großen Holzxylophons im Zeltlager 2015

Kreis-Anzeiger vom 06.05.2017

Aus Wanderung wurde Großprojekt

Naturschutzgruppe Ober-Lais bietet seit über 40 Jahren Sommerlager an

 

Ober-Lais - (det). 1971 unternahm Franz Schweda, der damalige Jugendleiter der Naturschutzgruppe Ober-Lais, mit 14 Teenagern des Vereins eine Wanderung. Die Gruppe hatte beschlossen, im Freien vier Tage mit Biotop-Pflege zu verbringen. Damals ahnte niemand, dass sich daraus mit den Jahren ein naturpädagogisches Großprojekt entwickeln würde. Im vergangenen Jahr nahmen am 44. Zeltlager auf dem Vereinsgelände nahe des Sportplatzes 65 Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren teil. Sie kommen schon längst nicht mehr nur aus Ober-Lais, sondern aus den umliegenden Kommunen und sogar aus Gießen. 36 Erwachsene waren bei der Betreuung und Versorgung im Einsatz.

 

Der ganze Verein ist bei den Sommerlagern gefordert, der Vorsitzende Ulrich Klehm in der Organisation, Jugendleiter Philipp Peppel und sein Stellvertreter Vito Musial mit etlichen anderen in der Planung der Aktivitäten, als Ansprechpartner und Helfer. Manche Teamer haben schon als Kind teilgenommen, übernehmen jetzt als 17- oder 18-jährige eigene Betreueraufgaben. Andere helfen seit Jahrzehnten mit, wie etwa der ehemalige Jugendleiter Fred Nies. Von morgens bis abends beschäftigt ist das Küchenteam um den stellvertretenden Vorsitzenden Frank Maurer, der genau wie sein langjähriger Vorgänger Günter Hähmel weiß, wie man Jugendlichen mit großem Hunger sattbekommt.

 

Was sind die Anziehungspunkte des Jugendlagers? Das freie Leben in der Zeltstadt, das Zusammensein mit den Freunden, die wechselden Themen? "Steinzeit" lautete das Motto 2002: Es wurden Waldfrüchte gesammelt, Tierspuren bestimmt, Schmuck aus Knochensplittern und Tierzähnen, die im Wald gefunden wurden, hergestellt. Zwei Jahre später stand das Leben der ersten Bauern im Mittelpunkt. Getreidekörner wurden zwischen flachen Steinen zermahlen, Teig geknetet und als Fladen in einem vorgefertigten Lehmofen gebacken. Die Kinder holten biegsame Zweige, bekamen gezeigt, wie man sie im Rahmen flicht, an Pfosten befestigt und mit Lehm bewirft. So entstand ein Haus und wurde mit einem Strohdach abgedeckt.

 

2008 wurde das Häuschen wieder genutzt. "Leben wie zu Omas und Opas Zeiten" hieß es damals. Mutige konnten unterm Strohdach in einem Bett mit Strohsack statt Matratze schlafen. Eine Porzellanwaschschüssel in der Ecke und das klassische "Dippche" vervollständigten die Einrichtung. Altes Gerät vom Pferdekummet bis zur Bügelsäge, vom Holzbohrer bis zur Garnhaspel lernten die Kinder kennen. Sie woben Deckchen und Bänder, lernten von Heinz Fischer, wie man Reisigbesen bindet.

 

Beim "Immobilienbau für die Natur" entstanden Insektenhotels und Fledermauskästen. Auch wurde eine Lesesteinmauer zum Überwintern von Eidechsen und anderen wechselwarmen Tieren aufgeschichtet, aus Drahtgeflecht und Holzbeton entstanden Mini-Überwinterungshöhlen für Igel.

 

Immer gelingt es den Planern, interessante Aufgaben für alle Altersgruppen zu finden. So auch vor vier Jahren bei "Renovieren für Mensch und Tier". Die Kleinsten konnten Holzschilder bemalen, die Größeren an vielen Stellen helfen. Das Tor der Anlage wurde repariert, neue Treppen - die Stufen teilweise aus Holz, teils aus Stein - gebaut. Die Wiese mit der Einsaat einer speziellen Blütenmischung zum Schmetterlingsbiotop aufgewertet. Zudem wurde der bei Faltern beliebte Sommerflieder gepflanzt. Dabei gab der Schmetterlingsexperte Dieter Spengler aus Gießen wertvolle Tipps.

 

Kräftig anzupacken galt es mit Philipp Peppel. Der Tüftler aus dem Jugendleiterteam hatte sich eine Verbesserung des Hessen-Futterhauses für Vögel ausgedacht. Eine raffinierte Konstruktion gibt ihnen Zugang zum Futter, verhindert aber, dass sie es mit ihren Ausscheidungen verschmutzen. So können keine Krankheitserreger mehr eindringen. Jetzt steht das innovative Modell am Vogelschutzgehölz.

 

Elektronik-Freaks sind immer unter den jungen Erwachsenen im Zeltlager. Sie installierten in der alten stillgelegten Trafostation in Unter-Lais, in der Turmfalken nisten können, eine Webcam. Über einen QR-Code kann man nun alle 30 Minuten Bilder auf dem Smartphone empfangen und so beim nächsten Falkenpaar genau miterleben, wie die Brut verläuft, die Jungen schlüpfen und heranwachsen. Da es keinen Strom mehr im Häuschen gab, wurde eine Solarzelle installiert, aus der der Akku der Kamera die Energie ziehen kann.

 

Wie der Schmetterlingsexperte werden von der Naturschutzgruppe immer wieder Gäste eingeladen, die das jeweilige Thema vertiefen. Schon ein Ritual ist der abendliche Besuch Holger Schneiders und seiner Bläsergruppe zum musikalischen Abschluss. Und am Ende jedes Zeltlagers ist Familientag, bei dem den Eltern und Geschwistern die Ergebnisse der Projekte präsentiert werden.

 

"Wir sind froh, dass bei den vielen lebhaften Kindern noch nie was Ernstes passiert ist", sagt Ulrich Klehm. Auch das Wetter spiele eine Rolle, Heimweh komme am ehesten bei Gewitter auf. "Da mussten wir schon Kleine nach Hause fahren", verrät der Vorsitzende. Und beim "lebensnotwendigen" Handy müssen die Kinder manchmal zurückstecken. "50 Steckdosen zum Laden von 50 Handys gibt es hier nicht."